Online-Dating:Männer spielen das Spiel, Frauen müssen den Regeln folgen

Lesezeit: 2 min

"Dating war schon immer ein Geschäft", sagt die Historikerin Moira Weigel im Film. (Foto: dpa)
  • Der Dokumentarfilm "Liken, Daten, Löschen - Liebe und Sex in Zeiten des Internets" ergründet, wie das Internet die Partnersuche verändert hat.
  • Laut den Filmemacherinnen schreiben sich dabei alte gesellschaftliche Probleme und Ungerechtigkeiten fort.
  • Die durchökonomisierte Warenwelt des Datings produziert auch sozial Abgehängte.

Von Julian Dörr

Es gibt ein Meme, das in den vergangenen Monaten immer wieder durch verschiedene soziale Medien flatterte, und dieses Meme ist sehr interessant, weil es sich zum einen über altmodische Vorstellungen von Dating, Sex und Liebe lustig macht, ihnen aber gleichzeitig ein klein wenig nachtrauert. "Erstes Date: Sex", heißt es da. "Zweites Date: Treffen bei Tageslicht. Drittes Date: Gegenseitig Kindheitstraumata erzählen." Soll heißen: Heute wird zuerst gevögelt, dann kennengelernt.

So ähnlich sieht das auch Heike Melzer. Sie ist Sexualtherapeutin und eine von vielen unterschiedlichen Stimmen, die in der sehr ausgewogenen und sehr schlauen Dokumentation von Constanze Grießler und Franziska Mayr-Keber zu Wort kommen. Mit "Liken, daten, löschen - Liebe und Sex in Zeiten des Internets" versuchen die beiden Filmemacherinnen zu ergründen, wie Online-Dating Leben, Partnersuche und Sexualität von Menschen verändert hat.

SZ JetztFünf Jahre Tinder
:Schade, Tinder, dass wir uns nie kennengelernt haben

Unser Autor war nie Single, seit vor fünf Jahren Tinder begann, das Online-Dating zu revolutionieren. Deshalb hat er das Gefühl, etwas verpasst zu haben.

Von Christian Helten

Auf ihrer Suche treffen Grießler und Mayr-Keber unter anderem eine Sexualtherapeutin, die vor einer übersexualisierten Gesellschaft warnt (eben jene Heike Melzer), einen selbsternannten "Datedoktor", der einer Frau rät, ein bisschen bei Alter, Größe und Gewicht zu mogeln, und den Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer, der eine chronische Unsicherheit angesichts der Unüberschaubarkeit möglicher Beziehungen diagnostiziert.

So weit alles bekannte Ängste, Beobachtungen und Befunde zur disruptiven Kraft des Online-Datings im Speziellen und des Internets im Allgemeinen. Das schleppt sich zu zu Beginn etwas, erklärt und wiederholt viel - und zerlegt, nachdem es schnell sehr relevant wird, den ein oder anderen Mythos.

Hinsichtlich des sexuellen Marktwerts geht die Schere immer weiter auf

Das Internet habe die Romantik zerstört, ist so einer. Algorithmen und Liebe, das ginge einfach nicht zusammen. Quatsch, sagt diese Doku und erzählt davon, wie man schon in den Fünfzigerjahren mit Hilfe von ausgeklügelten Fragebögen auf der Suche nach dem "Code der Liebe" war. "Dating war schon immer ein Geschäft", sagt die Historikerin Moira Weigel. Nicht erst seit Tinder inszenieren sich Menschen als "begehrenswerte Güter". In der angeblich so modernen und revolutionären Welt des Online-Datings reproduzieren sich eigentlich alte gesellschaftliche Probleme und Ungerechtigkeiten.

Auch in der durchökonomisierten Warenwelt des Datings gibt es sozial Abgehängte. "Die Schere geht immer weiter auf", sagt Sexualtherapeutin Melzer, "zwischen den Unberührten, die sich in virtuellen Welten versorgen, und denen, die sich durch die Betten tindern." Für mindestens fünf Prozent der Männer gibt es weder Partner noch Partnerin, heißt es an einer Stelle. Was mit diesen Abgehängten passieren kann, zeigt die Incel-Bewegung.

Am Ende liegen auch die Probleme des Online-Datings in den festgefahrenen Vorstellungen von Geschlechterrollen: Der Männern ansozialisierte Zwang, immer den ersten Schritt machen zu müssen, die mögliche Zurückweisung, die Anonymität im Netz, das alles sei Nährboden für Missbrauch, sagt Whitney Wolfe, Mitbegründerin von Tinder und CEO der Dating-App Bumble.

Gegen Ende der Doku erzählt die Historikerin Weigel, wie altmodische Geschlechterklischees in der Ratgeberliteratur festgeschrieben werden. Ein Buch mit Datingtipps für Männer trage den Titel "The Game", das für Frauen hingegen "The Rules". Männer spielen das Spiel und Frauen müssen den Regeln folgen. Die gleichzeitig tröstende und niederschmetternde Erkenntnis dieser Doku: Ob online oder offline, die Probleme sind überall die gleichen.

Liken, daten löschen - Liebe und Sex im Zeitalter des Internets , 3 Sat, 20. 15 Uhr.

© SZ vom 13.02.19 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ Plus"Incel"-Bewegung
:Frust ohne Grenzen

Brutale Gewalt gegen Frauen wird oft als Einzelfall gesehen. Dabei wird Frauenhass längst im Netz organisiert. Einblick in eine düstere Weltsicht.

Von Jan Stremmel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: